Europauniversität Flensburg Prof.Dr.habil. Wolfgang F. Schmid
 Europauniversität Flensburg           Prof.Dr.habil. Wolfgang F. Schmid

Gedankenlabor

Um sich Zutritt zum Gedankenlabor zu verschaffen, muss man erst einmal durch das Gedränge der Eindrücke des Alltags hin-durch. Und sogleich stellt sich heraus, dass man einen starken Willen dazu braucht. 

Das Gedränge vor dem Gedankenlabor ist sehr groß. Solange man mit all seinen vielen alltäglichen Wahrnehmungen beschäftigt ist, wird einem der Zugang verwehrt. 

Man versteht schnell, dass der Zutritt mit Loslassen zu tun hat.

 

Das bedeutet Befreiung von noch so interessanten Beschäf-tigungen und das Loslösen von sich hartnäckig aufdrängenden Trieben oder Bedürfnissen.

 

Ist das geschafft und kehrt endlich Ruhe ein, dann befindet man sich bereits in den beruhigten Bereichen des Betrachtens. 

 

Das Gedränge äußerer und innerer Wahrnehmungen lässt spürbar nach, so dass man sogar Zeit findet, sich mit einzelnen Wahrnehmungen genauer zu beschäftigen. 

 

Auf diese Weise entdeckt man höchst wahrscheinlich andere Zusammenhänge und begreift somit auch andere Möglichkeiten sich damit zu befassen. 

 

Indem man sich darauf einlässt, hat man fast unbemerkt den Eingang zum Gedankenlabor erreicht. 

 

Durch die Drehtür eines Grundmotivs gelangt man dort hinein. Ohne auf der Suche nach Wesentlichem zu sein, gibt es keine Chance hineinzugelangen. 

 

Um Denken als Bedingung der Möglichkeit des Gedankenlabors betrachten und beobachten zu können, bedarf es der Bereitschaft, sich innerem Geschehen zu widmen und sich darauf sehr geduldig zu konzentrieren.

 

Das ist nicht selbstverständlich, da dies gewöhnlich viele Ablenkungen zu verhindern versuchen. Neben diesen verführen Verlockungen durch vereinfachende Erleichterungen, Wege des Bequemeren zu wählen.

 

„Ich denke, also bin ich!“ Diese Aussage des Philosophen Descartes bringt es auf den Punkt. Denkend gestaltet Dasein!

 

Soll sich das Ich nicht von seinem Selbst entfremden, muss es sorgfältig darauf achten, fremde Gedanken nicht ungeprüft zu übernehmen. 

 

Das ist leichter gesagt als getan, denn schon das Nachvollziehen fremder Gedanken beeinflusst das eigene Denken so geschickt, dass solche Umlenkungen oft gar nicht auffallen.

 

Durch die wiederholte Lektüre von Texten wird sprachvermitteltes Strukturieren von Denkprozessen ganz allmählich zueigen gemacht. Man denkt dann allmählich in etwa so wie jene, deren Werke man liest. Sprachmuster der Erzieher sind Denkmuster, welche Kinder adaptieren.

 

Es scheint geradezu unmöglich, jene Spuren aufzuspüren und zu lesen, welche den eigenen Lebensweg prägten. 

 

So ist mir beispielsweise nicht klar, wer oder was in mir das Interesse für Philosophie geweckt hat. Stellt sich die Frage, ob sich eine Möglichkeit bietet, das herauszufinden.

 

Erinnerungen geben jedenfalls zunächst nicht preis, was weiterhelfen könnte. Aber sehr schnell kommt die Vermutung auf, dass es an der religiösen Erziehung gelegen haben könnte. 

 

Der Grund hierfür liegt nahe. Die unsichtbare Allgegenwart Gottes gibt zu denken, drängt sich doch bald der Gedanke auf, ob das überhaupt stimmen kann. 

 

Eigenes forschendes Denken beginnt, genauer, es fängt das Suchen nach Gründen Pro und Contra an.

 

Logisch geht es dabei auf keinen Fall zu. Widersprüchlich wird jener Gott um Hilfe angefleht, welchen man doch gerade bezweifelt.

 

Mit zunehmenden Alter wird das Bedürfnis nach einer Suchstrategie immer bedrängender. Das Fragen nach der Existenz Gottes sucht nach einer erfolgreichen Systematik. Um diese wahrscheinlicher werden zu lassen, reflektiert sich das Fragen selbst.

 

Durch diese Spiegelung scheinen Perspektiven und Aspekte der Bewusstwerdung hervor. Es wird unmittelbar interessant, wer oder was überhaupt fragt. 

 

Es ist wohl Neugier, die das herauszufinden versucht. Aber bevor sich hierauf eine Antwort bilden kann, erscheint es dringlicher, Grund und Zweck zu erfahren. Die Motivation schiebt sich in den Vordergrund.

 

 

Folgendes wird gewöhnlich nicht bewusst. 

 

Wahrnehmen erspürt zunächst den Beweggrund einer Erscheinung, um möglichst schnell deren Zweck ergründen zu können.

 

Bei einer Begegnung wird zunächst die Absicht ermittelt, bevor das Erscheinungsbild des anderen erfasst wird. Es sind dessen körpersprachlichen Signale, die dann auch seine Erscheinung beeinflussen. Dies wird gewöhnlich als Ausstrahlung empfunden.

 

Das weist darauf hin, dass geistige Vorgänge Analogien zu körperlichen sind. Dementsprechend erweisen sich Fragen als Erweiterungen des Tastsinns.

 

Gedankenlabor ist im Grunde geistiges Erleben körperlicher Erfahrungen. 

 

Wer fragt, betreibt letztlich körperliche Hygiene. Und wer einen Blick in den Grund seiner Existenz wagen will, sollte einen Besuch im Gedankenlabor erwägen.

 

Um sich diesen Besuch leisten zu können, braucht man (s)eine Leitfrage, (s)ein Motiv, das den Weg durch das Reflexionsfeld „Bewusstsein“ markiert.

 

Im Bewusstsein - der Ort des Gedankenlabors - teilen sich Vernunft und Verstand die Arbeit. Es handelt sich gleichsam um zwei Abteilungen, nämlich Kunst und Wissenschaft. Kunst bezieht ihre schöpferische Energie aus der Begabung, während Wissenschaft diese von der Intelligenz bezieht.

 

Diese Momente des Gewissens beinhalten Ver-haltensmuster, die sich nicht immer als situativ stimmig erweisen.

 

Solche Inkongruenzen erzeugen Unsicherheiten, die durch gefühlte Fantasien kompensiert werden.

 

Je nach Gefühl von Hilflosigkeit steigert sich das bis hin auf die Hoffnung an eine höhere Macht, die dann intuitiv als göttlich empfunden wird.