Europauniversität Flensburg Prof.Dr.habil. Wolfgang F. Schmid
 Europauniversität Flensburg           Prof.Dr.habil. Wolfgang F. Schmid

Verführte Fantasie

Kein Wunder, dass die Fantasie die Vernunft verführt, sich einen Anfang von allem auszumalen.

 

 

Vernunftbegabte Lebewesen sehnen sich von Natur aus nach Schutz. Dieses Bedürfnis  nach Sicherheit und Geborgenheit gehört zu den Grundbedürfnissen wie beispielsweise Nahrung, Schlaf oder Gesundheit. 

 

Um nicht einsam sein zu müssen, erschafft sich die Vernunft ein höheres Wesen, das mächtig genug erscheint, vor allen Unbilden 

 

beschützen zu können. Selbst der Tod darf dessen Allmacht nicht begrenzen.

 

Die Fantasie überschreitet diese Grenze, indem sie aus ihr einen Übergang zum ewigen Leben erschafft und somit zwangsläufig auch einen Gott gebärt.

 

Dieser bedarf einer glaubwürdigen Geschichte, um die eigene Existenz zu rechtfertigen.

Weil ein Mensch seinem Gott nicht ebenbürtig sein kann, vermag er sich diesen auch nicht zu erklären.

 

 Aufgrund dieser Verlegenheit verschafft er seinem Gott Eigenschaften, die ihn von jeglichem Erklärungszwang befreien. 

 

Vorsorglich lässt er seinen Gott zudem sagen: „„Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! “

 

 

 

 

Aber die Schöpfungsgeschichte der Fantasie belegt, dass Irren menschlich ist, und sie verrät dadurch, dass sie keineswegs - wie sie glauben lassen möchte - göttlicher Herkunft ist.

 

Dem allwissendem Gott entgeht nämlich, dass er hätte vorhersehen hätte müssen, dass die ersten Menschen auf keinen Fall der verbotenen Frucht vom Baum der Erkenntnis widerstehen können und sich dem Verzehrverbot widersetzen werden.

 

 

 

Als Verstoss gegen das Verbot Gottes wandelt sich der Sündenfall für das christlich geprägte religiöse Empfinden zur Erbsünde.

Dieser seelischen Vorbelastung widersetzt sich freilich der Verstand, da er diese fantastische Inszenierung nicht zu fassen vermag.

 

So fragt der Verstand die Vernunft, was es mit Glauben auf sich hat. Die Vernunft erklärt, dass Gefühl das Wissen der Seele ausmacht. Und sie fügt hinzu, dass diese  geheimnisvolle Weisheit allerdings dem Verstand verschlossen bleibt.

 

 

„Die Sprache ist das Haus des Seins“ heißt es. Darin befindet sich alles das versprachlicht, was Menschen wichtig erscheint. Wer in der Sprache zu Hause ist, vermag das zu entbergen, was sich in ihr von jeher verbirgt. 

 

„Am Anfang war das Wort“, stellt für den Glauben den Beginn des Denkens dar, und der Apostel Johannes schaut dieses Wort als bei Gott seiend, noch mehr „und das Wort war Gott“. Nach Johannes’ Empfinden bringt Gott das Denken zur Sprache.

 

Der Verstand bewundert diese Darstellung der Vernunft und wundert sich, nicht einbezogen zu werden.

 

Indem er Denken als seine ureigene Tätigkeit  beansprucht, widersetzt er sich der Vernunft und tut sich schwer in der ‚Sache mit Gott‘.

 

Weil den Dichtern des Buches der Bücher Fantasie als schöpferische Kraft noch unbekannt ist, halten sie ihre bildnerischen Eingebungen für wirkliche Erfahrungen. 

 

 

 

 

Der erträumte Gott begegnet ihnen als wahr, und aus dieser traumhaften Begegnung gestaltet Dichtkunst wundersame Ereignisse.

 

Gläubige tun sich oft um so schwerer damit, je heftiger ihr Verstand dieser Auffassung widerspricht. 

So verwundert es nicht, dass immer wieder versucht wird, das, was geglaubt wird, auch in Wissen zu überführen.

 

 

 

 

Dem entgegen scheint der Einwand erlaubt, ob nicht Glauben als eigenständige existentielle Form unterschätzt wird.

 

Eine Akzeptanz durch den Verstand setzt voraus, dass sich Glauben auch verstandesmäßig erschließen lässt.